Auf kurvigen Wegen
Nils hat Jura studiert, Heilpraktiker gelernt und ein Restaurant geleitet. Jetzt ist er Altenpfleger und sagt: „Ich bin angekommen“. Über einen Beruf, der anstrengend, erfüllend und vielfältig ist.
An diesem Freitagmorgen steht der Leichenwagen vor der Tür des Seniorenzentrums. In der Nacht ist eine Frau gestorben. „Wir sind alle erleichtert“, sagt Nils, „sie hatte nur noch Schmerzen“. Nils ist Altenpfleger. Es gehört zu seinem Berufsalltag, Menschen auch auf ihrem letzten Weg zu begleiten.
Bislang war er aber erst einmal dabei, als eine Bewohnerin gestorben ist. Er hat ihre Hand gehalten und sie gestreichelt, bis sie eingeschlafen ist. „Es war ein schöner Tod“, sagt Nils. Es gibt aber auch die anderen Erfahrungen mit dem Sterben, wenn sich Menschen quälen und mit dem Tod ringen bis zuletzt.
„Das könnte ich nicht“, sagen Freunde, wenn Nils ihnen von seiner Arbeit erzählt. Altenpfleger dürfen keine Scheu vor Menschen und ihren Körpern haben. Wer sich ekelt vor Exkrementen und Geschwüren, ist fehl am Platz. Um tagtäglich mit gebrechlichen Menschen umzugehen, braucht man viel Geduld und einen geschulten Blick dafür, in welcher Not sich ein Mensch befindet, auch dann, wenn er nicht mehr darüber sprechen kann. Empathie ist wichtig für den Beruf, sagt Nils.
Ich bin angekommen
Als ihm vor zwanzig Jahren eine Cousine von ihrer Arbeit als Altenpflegerin erzählte, dachte auch er: könnte ich nie. Nils studierte Jura - was man eben so studiert, wenn man eine passable Abiturnote hat und sich einen gut bürgerlichen, gesellschaftlich anerkannten Beruf wünscht. Doch dann fiel er durchs Examen. Es war ein Schock. Nils dachte viel nach über sich und sein Leben und entschied sich für eine Ausbildung zum Heilpraktiker. Um Geld zu verdienen, leitete er zwischendurch ein Restaurant, und letztlich war es das Jobcenter, das ihm empfahl, Altenpfleger zu werden. Es ist nicht sein Traumberuf, und es war ein kurviger Weg bis hierher. „Doch jetzt habe ich das Gefühl, ich bin angekommen“, sagt Nils. Ehrgeiz, Neugier und Freude am Lernen sind geblieben. Er hat die einjährige Ausbildung zum Altenpflegehelfer absolviert und lässt sich gerade berufsbegleitend vier Jahre lang zum Altenpfleger weiterbilden. Er wird medizinisch, psychologisch und auch juristisch geschult. Dass er Vorkenntnisse aus seinem Jurastudium und der Heilpraktiker-Ausbildung mitbringt, macht die Sache leichter. Auch dass er schon mal ein Restaurant geleitet hat und organisieren und wirtschaften kann, ist von Vorteil.
Mittlerweile ist ihm nichts mehr fremd im Umgang mit alten Menschen und ihren Krankheiten und Schwächen. Man dürfe nicht daran denken, dass es einem selbst mal so gehen wird, sagt er. Der Verlust an Autonomie, wenn die Kräfte nachlassen, das sei für viele Menschen schwer zu ertragen. Wer die kleinen Dinge schätzen könne und wer sein Selbstwertgefühl nicht von Leistung, Geld und Anerkennung abhängig mache, komme damit besser klar. Das hat Nils mittlerweile gelernt von den Bewohnern des Seniorenzentrums. Seine Arbeit ist auch eine Schule des Lebens.
Ein Spiegel der Gesellschaft
Nils hört viele Lebensgeschichten. Sie handeln von verpassten Chancen und geglückten Beziehungen, von der verlorenen Jugend im Krieg, von schönen und traurigen Momenten. Oft wünscht er sich, er hätte mehr Zeit zum Zuhören. Sein Alltag hat aber auch komische Seiten. Eine alte Frau etwa erzählt ihm Witze, wenn er ihre Windeln wechseln muss – und so überbrücken beide das unangenehme, schamhafte Gefühl, das mit einem so sensiblen Vorgang verbunden ist.
Ein Seniorenzentrum ist ja auch ein Spiegel der Gesellschaft. Es gibt sympathische Bewohner und unsympathische, kooperative und renitente, es gibt Besserwisser und solche, die dankbar sind für einen Rat. Es gibt die offenen, die Kontakt suchen und die, die ihr Zimmer nicht verlassen, mit niemandem sprechen wollen und sich der Körperpflege verweigern. Auch das müsse man respektieren, sagt Nils – solange nicht andere Bewohner leiden müssen, etwa unter der mangelnden Hygiene.
Nils erzählt auch von Konflikten, die die Bewohner miteinander austragen - und von unerwarteten Annäherungen. Auch im hohen Alter können sich noch Liebespaare finden. So wie jener Mann und jene Frau, die am liebsten zärtlich turtelnd beieinander im Bett lagen. Die Tochter des Mannes hatte allerdings wenig Verständnis dafür – sie kannte ihren Vater nur als treuen Ehemann und war entsetzt darüber, dass er sich zu einer anderen Frau hingezogen fühlte, auch wenn beide bereits über 80 Jahre alt waren.
„Wenn wir manchmal im Kollegenkreis in ein Restaurant essen gehen, merken wir erst, in welcher Parallelwelt wir arbeiten“, sagt Nils. Dann drehen sich die Gäste am Nebentisch manchmal nach ihnen um, wenn sie sich gegenseitig Anekdoten aus dem Alltag erzählen.
Ein Lächeln belohnt
Alte Menschen zu pflegen und zu betreuen ist aber vor allem auch: anstrengend. Richtig körperlich anstrengend. „Das Fitness-Studio kann ich mir sparen“, sagt Nils. „Ich brauche kein extra Muskelaufbautraining.“ Auch der Schichtbetrieb macht ihm zu schaffen. Nils schläft schlecht. Schlaftabletten sind für ihn keine Alternative. Schließlich ist er erst 40 Jahre alt.
Belohnt wird er für die Mühen, wenn ihn ein Bewohner morgens anlächelt, wenn er ins Zimmer kommt. Oder auch wenn er bei einer Waschung merkt, wie ein Demenzkranker ruhiger wird, wenn er mit warmem Wasser und Waschlappen die Arme entlang streicht.
Damit die psychische Belastung nicht allzu groß wird, hilft es, professionelle Distanz zwischen sich und die Bewohnern und den Beruf einzulegen, sagt Nils. Auch eine ordentliche Portion Humor tut manchmal gut.